Teil 9: Polizeistaat und die Lawine vor der Tür.

„Ich erinnere mich an den Morgen, an dem ich im Haus meiner Eltern aufwache und mich ein fremdes Gesicht durch eine halb offene Zimmertür anstarrt.“

Die südafrikanische Polizei durchsucht willkürlich Menschen. _

 

 

(Copy/Paste for English version: http://www.deepl.com)

Mittlerweile wurde ich zweimal von der Polizei im alten Zentrum Johannesburgs unrechtmäßig kontrolliert und aggressiv durchsucht. Die Artikel der Gesetze? Interessieren sie nicht.
“I can put you in jail!”
War die Reaktion auf die Aufzählung dieser Paragraphen…
Nach 10 Minuten hat er dann sein nächstes Opfer gesucht.

Aus meinem Studio kann ich die Machenschaften der Polizei gut beobachten. Sie halten willkürlich Autos an. Passanten an. Und durchsuchen Taschen, Kofferräume und Jacken. Stellen Frauen und Männer, Minuten und auch Stunden lang an die Seite und lassen sie warten.
Auf was?!
Auf was wohl…

Die südafrikanische Polizei durchsucht willkürlich Busse und Autos. _

Die südafrikanische Polizei durchsucht willkürlich und stellt Männer und Frauen auch für Stunden an die Seite. Ohne Grund. _

 

 

Polizeistaat.
Herzlich Willkommen?
Oder auch nicht.

Ich bin müde. Auch fällt es mir immer schwerer etwas zu schreiben. Mir fehlt ein Rhythmus. Ein Alltag. Ein sicherer Weg zur Arbeit. In mein Studio.
Immer muss man sich umschauen.
Johannesburg.

Die Fahrt ins Studio kostet mich Überwindung. Ich hätte nie gedacht, dass ich hier, im CBD, einmal mehr Angst vor der Polizei haben würde, als davor, von Fremden überfallen zu werden. Wobei ich davor nie richtig Angst hatte. Man ist vorsichtig. Aber kein Opfer. Man kennt die Regeln.

Ja, mittlerweile habe ich Schüsse gehört. Angeschossene beobachtet. Und einen Toten auf der Straße gesehen.
So ist das CBD.
So ist das Leben. Draußen. Vor meinem Studio.
Johannesburg.

Ich habe mir gerade Wanderschuhe, die mir hier gestohlen wurden, auf einer offiziellen Website der Marke bestellt. Meine Schuhgröße ist US: 15. Und diese Größe bekomme ich hier in Südafrika leider nur online. Wenn überhaupt. Glücklich klicke ich auf die Bestellung.
Mittlerweile ist klar, dass es sich um eine falsche Seite handelt. Ich muss meine Bank kontaktieren. Es hört nicht auf…

Auf dem Weg in die Drakensberge – ein sehr schönes Naturgebiet hier in Südafrika – wird uns der Kofferraum leer geräumt. Zum Glück reise ich nicht in Badesachen.
Ohne Worte…

Ralph Kretschmar vor seiner Hütte am Morgen nach dem Raub. Die Kleidung die er noch besitzt, hat er an. _

 

 

Kindheit.
Ich erinnere mich an den Morgen, an dem ich ich im Haus meiner Eltern aufwache und mich ein fremdes Gesicht durch eine halb offene Zimmertür anstarrt.
“Mama?”, murmele ich müde.
Das Gesicht verschwindet und die Tür geht zu.
Ich stehe auf und renne wie vom Blitz getroffen nach unten. Keine Ahnung warum. Ein Gefühl der Angst. Und Adrenalin. Ein Schutzinstinkt?
Angriff!
Ich sehe die beiden Männer noch aus der Haustür rennen. Dann über den Zaun springen. Und mit dem Auto davon rasen.
Mein erster Instinkt. Das Schlafzimmer meiner Eltern.
Ich renne hin. Die Tür ist verschlossen. Von außen!
Die Angst pulsiert in meinen Adern.
Ich öffne die Tür und sie schrecken hoch.
Ich kläre sie auf was passiert ist und renne hoch zum Zimmer meiner Schwester. Ebenfalls abgeschlossen.
Erneut die Angst – doch auch ihr geht es gut.
Ich beruhige mich.
Ich war wohl – ihre Pechtür?

Alle guten Dinge sind 3…

Im Nachhinein wurden mir die Möglichkeiten erst bewusst, über die Folgen die sonst noch hätten passieren können.
Ein Trauma das nachhängt.

Und jetzt der Kofferraum. Ausgeraubt. Schon wieder.
Es hört nicht auf…

Zum Glück ist uns nichts passiert. Außer der Schock. Die Erfahrung. Und die Nacktheit.

Ende April.
Anfang Mai.

Vicco Farah. Cousin und Bruder. _

 

Ich vermisse Vicco. Ich denke sehr oft an ihn. Bald hat er Geburtstag. Was mache ich an seinem Geburtstag?
11.5.2021.
Die Augen zu?
Oder zu McDonalds.
Ich höre ihn lachen.
“Big Mac! Nice.”

Der Abstand zu meinen Bildern im Studio gibt mir eine positive Distanz. Überraschend. Ich bekomme Antworten auf Fragen die ich mir im Studio nie stellen würde.
Neue Wege. Neue Ideen. Kunst und die unkomfortablen Zonen.
Ich freue mich darauf wieder regelmäßig arbeiten zu können.

Zur Zeit male ich von Zuhause aus. Oder unterwegs. Irgendwo in der Natur.

Ich habe ein neues Studio gefunden! Ende Juli werde ich, wenn alles gut geht, umziehen. Sie müssen es erst noch bauen…

Das neue Studio von Ralph Kretschmar. Vor der Sanierung. _

 

 

Ich habe begonnen digitale Kunst zu machen. Eine neue Freiheit. Unbewusstes malen. Ohne die Erwartungen und den Druck, der durch einen permanenten Dialog mit dem Werk in meiner eigentlichen Arbeit, normalerweise entsteht.

Der Jüngling. (Print-Edition 1/10, Signiert) _

 

 

Johannesburg verändert mich. Das Leben hinter einer unsichtbaren Wand. Das Gefühl sich verstecken zu wollen. Johannesburg ist durch die Entdeckung des Goldes Ende des 19. Jahrhunderts erwacht. Deswegen wird Johannesburg auch “Stadt des Goldes” genannt.

Egoli.

Die Minen wurden von Weißen betrieben. Durch sie wurden sie reich. In der Apartheid hatten sie billige Arbeitskräfte. Ohne Rechte. Die sie ausbeuten konnten.

Sie kamen.
Sie nahmen.

Und die Situation der Minenarbeiter hat sich seitdem nicht viel verändert.

Ich erinnere hiermit an das MARIKANA MASSAKER. Am 16. August 2012 wurden 34 Minenarbeiter bei einem Streik von der südafrikanischen Polizei erschossen. Bis heute wurde von Seiten der Polizei niemand verurteilt. Bis heute wurde auch niemand für die menschenverachtenden Politik- und Gewaltverbrechen während der Apartheid verurteilt. Aufarbeitung und Verfolgung gibt es nicht in Südafrika. Wie auch in Deutschland, hätte es hier ebenfalls die Nürnberger Prozesse gebraucht.

Apartheid.

SOWETO UPRISING.
16. Juni 1976.
Schülerstreik gegen die „Afrikaans“ Sprache der Kolonialisten, als Pflicht in den Schulen.
Afrikaans Medium Decree (1974)
Bis zu 700 Mädchen und Jungs wurden von der südafrikanischen Polizei erschossen.

Apartheid.

In der Schule lernen die Kinder die britische Geschichte.
Die afrikanische Geschichte wird ausgelassen.
Vergessen. Ignoriert.
Eltern müssen ihren Kindern englische Namen geben.
So ist es einfacher. “Kann” doch niemand die traditionellen Namen aussprechen…

Precious.
Trust.
Truth.

Oft schäme ich mich für meine Hautfarbe.

Johannesburg. Südafrika.
Was lerne ich hier?
Eine kritische Sicht auf die Geschichte und die Privilegien des weißen Menschen.
Eine kritische Beobachtung auf das Leben in der ersten Welt.
Eine kritische Auseinandersetzung mit meiner Vergangenheit und Zukunft.

Vieles überfordert mich. Hautfarbe prägt die Vergangenheit. Die Gegenwart.
Hautfarbe berührt die Kindheitserinnerungen vieler Menschen hier. Noch immer. Ich spüre das. Jeden Tag.
Mein Leben als Sinnbild negativer Erinnerungen?

Kann man sich für seine Hautfarbe entschuldigen?
Ein Leben lang?
Nein. Aber man sie kritisch sehen und sein Verhalten beobachten.

Ich lerne für meine ungeborenen Kinder. Ich lebe für sie. Ich male für sie.

Ich will nicht berühmt werden.
Ich will berührt werden.

Erst heute war wieder eine lange Menschenschlange vor dem Einkaufszentrum hier in Rosebank. Der Staat zahlt 350 ZAR pro Monat an Bedürftige.
“COVID-19 Social Relief of Distress Grant”
Umgerechnet sind dies ca. 20 Euro. Wer soll davon leben? Die billigste Miete in Johannesburg liegt bei 800 ZAR. Dann kommt noch Strom und Wasser und Essen. UND TELEFON UND INTERNET! Wie soll man denn sonst einen Job finden in einem Land wo es keine Jobs gibt? Und Ende Mai hört diese Hilfe auf, weil das Land kein Geld mehr hat! Offiziell…

Was kommt als nächstes? Anarchie?

Und in Deutschland jammern unter #allemachendicht die privilegierten Handwerker. Von den Querdenkern ganz zu schweigen…
LEUTE! Es handelt sich um eine Naturkatastrophe! Wäre die Schneelawine vor der Tür und ihr könntet nicht raus, müsstet ihr doch auch klar kommen.
Adaption! Alle mal Luft holen!
Erste Welt…

Jeden Morgen schaue ich NBA Spiele und habe das Gefühl, ich hole eine Zeit in meiner Kindheit nach. Anfang der Neunziger. Als ich mit meinem besten Freund Daniel NBA Sammelkarten aus den USA am Moritzplatz in Berlin gekauft habe, und davon träumte eines Tages selbst in der NBA zu spielen.
Ich nutze die Zeit vor dem Fernseher, um vergangene Träume zu skizzieren, Gefühle zu entdecken und neue Werke zu schaffen.
Und den besten Sport der Welt zu feiern!
Bald beginnen die Playoffs!
AHHH!

Dokumentationen helfen als Inspiration. Und um die Welt da draußen abzuschalten.

Ich muss schnell mal kochen. Morgen früh schreibe ich weiter.

Guten Morgen.
Kaffee. Check!

Freunde in der neuen Heimat.
Es fällt mir schwer Freundschaften aufzubauen. Oft will ich es auch nicht. Ich liebe den Rückzug. Die Isolation.

Ein Gedanke der mich bewegt:
Mein IQ liegt im “Hochintelligent” Bereich – laut mehrerer Tests. (Was ich bis jetzt nie jemanden gesagt habe.) Und ich habe/bin eine HSP (Highly Sensitive Person). Jedenfalls hat ein Therapeut mir dies nach – ebenfalls – mehreren Tests gesagt. “Autodidakte Züge, Herr Kretschmar. Und auch Intelligenz kann in die Isolation führen.“

Vielleicht bin ich deshalb gerne alleine? Bin schlecht in der Freundschaftspflege. Alleine muss ich mich nicht erklären. Ich muss nichts beobachten. Nichts spüren. Und nicht verstanden werden.
Wenn man es so sieht, tue ich den anderen ein Gefallen…

– Nur ein Gedanke. Den ich schon lange habe. Ohne ihn zu verstehen. Ohne mich zu verstehen. –

Meine “Bildschirmzeit/Screentime” liegt im Durchschnitt bei 45 Minuten am Tag. Ist mir noch immer zu viel. Freunde und Familie müssen dafür Verständnis haben. Es belastet mich, Nachrichten zu lesen. Audionachrichten zu hören. Und auf Nachrichten zu antworten. Ich freue mich über jede einzelne Nachricht! Ja. Jedoch. Ich will jeder Person, die mir schreibt, 100% Aufmerksamkeit geben und nicht nebenbei antworten. Deshalb dauern sie lange. Die Antworten. Ich habe einfach keine Energie dafür. Früher haben Nachrichten auch richtig viel Geld gekostet. Da hat man sich noch Gedanken darüber gemacht was man schreibt und alle Zeichen ausgenutzt. Heute wird gechatted. Ich mag kein chatten.

Die Natur hat nichts davon vorgesehen.
Vielleicht bin ich auch einfach nur merkwürdig…

Ich bekomme ja auch gerne eine Antwort auf meine Nachrichten.
Teufelskreis?

Wer den Input kontrolliert. Hört die inneren Stimmen. Und ohne diese, habe ich keine Visionen. Ganz einfach.

R.

Wer den Input kontrolliert. (Skizze, 2021) _